Richard Wilhelm

male (1873–1930)

Wikidata ID: Q62126 | de: Richard Wilhelm | en: Richard Wilhelm (sinologist) | zh: 卫礼贤

Translations

32
  • Ba shan dao zhong chu ye shu huai 巴山道中除夜書懷: Nachtgedanken (Cui Tu 崔塗)
    Durch wilde Felsgebirge führt der Pfad, Gefahr und Unrast treiben mich bergan. Rings starren Felsen, Schnee und dunkle Nacht, einsame Lampe scheint dem fremden Mann. Was ich geliebt, rückt immer weiter fort. Nur fremde Knechte folgen meiner Bahn – O, wie ertrag ich diese Wanderschaft! Und morgen kommt ein neues Jahr heran.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Wintergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1920. p. 20.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 92.
    in: Gundert, Wilhelm. Lyrik des Ostens. München: Carl Hanser Verlag, 1952. p. 344.
  • Ba shan dao zhong chu ye shu huai 巴山道中除夜書懷: No title ("Was ich geliebt, rückt immer weiter fort") (Cui Tu 崔塗)
    Was ich geliebt, rückt immer weiter fort. Nur fremde Knechte folgen meiner Bahn – oh, wie ertrag ich diese Wanderschaft! Und morgen kommt ein neues Jahr heran.

    in: Hucke, Helene (ed.). Eine Freude vertreibt hundert Sorgen. Fernöstliche Weisheiten. Köln: Buch und Zeit Verlagsgesellschaft mbH, 1985. p. 102.
    Excerpt
  • Chang'e 嫦娥: Die Mondfee (Li Shangyin 李商隱)
    An den Perlmutterwänden bricht Sich matter schon der Kerze flimmern. Die Milchstraß' sinkt am Himmel sacht, Des Morgens Sterne bleicher schimmern. Wie muß der Mondfee leid es werden, Daß sie geraubt unsterblich Leben: Das blaue Meer, der dunkle Himmel Sie einsam Nacht für Nacht umgeben.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Herbstlieder. Qingdao: ohne Verlag, 1918.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 52.
  • Chi bi fu 赤壁賦: Erste Fahrt zur Roten Wand (Su Shi 蘇軾)
    Su Dong Po machte einst im Herbst Mit einem Freunde eine Kahnfahrt zu der Roten Wand. Leis kam der kühle Wind geflossen Und kräuselte nur leicht die Wasserwellen. Da hob er seinen Becher Und trank dem Freunde zu. Sie sangen nun zusammen So manches Lied Vom Mondschein und schönen Mädchen. - Nach einer kleinen Weile kam der Mond Im Osten hinter fernen Hügeln vor, Und schwankend grüßt sein Abbild aus dem Wasser. Am Ufer glänzte weißer Tau, Und fern am Horizont Verschwamm des Wassers Schimmer in den Himmel. Sie ließen nun ihr Schifflein treiben, Wohin es wollte in der ungeheuren Wasserflut. Da ward die Seele weit, als schwebte sie Auf Windes Flügeln, unbekümmert, wo das Ziel der Fahrt. Sie schwang sich auf in sel'ge Höhn, Als ließe sie die Welt zurück Und wandle still in sel'ger Geister Mitte. So tranken sie einander zu Und freuten sich des Abends. Am Rand des Schiffs gelehnt, Schlug Su Dong Po sich selbst den Takt und sang: "Ruder, ach, so rein Tropft von euch der Mondenschein! Fern, fern, ach, mein Herz Sehnend denkt der Liebsten mein!" - Der Freund zog seine Flöte nun hervor Und mischte ihre Töne in das Lied. So schmelzend klang ihr Laut, So voll von herber Sehnsucht, schluchzend, klagend. Der Nachhall spann sich weich und lange weiter Als wie ein feiner seidner Faden. Aus der Tiefe kamen da die Fische Und Wassertiere stumm empor Und sprangen aus der Flut herauf, den fremden Tönen nach. Und manche Frau im kleinen Schifferkahn Begann zu schluchzen wie von unnennbarem Weh ergriffen. Auch Su Dong Po trat eine Träne in das Auge. Doch faßte er sich bald Und fragte seinen Freund: "Warum nur?" Doch jener sprach: "Ich mußte an den Helden Tsau Mong De gedenken. Solch eine Nacht wohl war es, als er sang: 'Des Mondes Schein verdrängt die Sterne, Und fern nach Süden fliegt ein Rabe.' Dort drüben sieht man Hankou ferne dämmern, Und hier im Osten liegt Wu Tschang. Dort drängen sich in fernen Ketten Die Berge an den Fluß heran. Hier war's, wo jene Kämpfe stattgefunden, In denen Tsau Mong De das Ende seiner Macht erlebte. Wie mächtig war er doch gewesen! Er hatte siegreich seiner Feinde Stadt genommen Und war mit stolzer Flotte dann den Strom herabgefahren: Auf tausend Meilen drängt' sich Schiff an Schiff, Und seiner Fahnen Menge deckte fast den Himmel zu. So stand er da und hob den Becher, Als er im Strom daher fuhr, Und sang ein Lied mit quergefällter Lanze. Er war ein Held, der größte seiner Zeit - - Und heut, wo ist er hin? Was soll da erst aus unsereinem werden, Die wir dem Leben fern am Strome fischen oder jagen, Die mit dem Fisch und Krebs zusammen leben Und die dem Hirsch und Reh Genossen sind? So lassen wir das Schifflein auf den Wellen gleiten, Gleich wie ein dürres Blatt, Und trinken so einander zu, Den Eintagsfliegen gleich, Die einen Augenblick im Lichte Hier zwischen Erd' und Himmel schweben, Wie Tropfen im unendlich weiten Meer. Das macht das Herz mir schwer, Daß unser Leben nur so kurz ist, Indes der Strom die Wellen endlos nach dem Meere wälzt. - Ja könnten wir mit sel'gen Geistern höher schweben Und mit dem lichten Mond ein ewig Leben führen! Doch ach, wir wissen's ja: Uns ist's versagt. - - So hab' ich denn des Herzens Klage Den traurigen Winden anvertraut." Der andre sprach: "Verstehst du nicht, Was uns das Wasser an geheimem Sinn erschließt Und dort der lichte Mond? Da fließt es hin und immerfort, Und doch erschöpft sich's nicht. Der Mond, er ist bald voll, bald leer, Und doch wird er nie größer oder kleiner. Wenn auf den Wandel hin du schaust: So kann der Himmel selbst und auch die Erde Nicht einen Augenblick im Sein verharren. Doch wenn aufs Sein du schaust, So wirst du finden, Daß wie die Welt das Ich auch ewig ist. Was bedarf es da der Schwermut? Und ferner: In dieser ganzen Welt Hat jedes Ding auch seinen Herrn. Was mir nicht zugehört, Das nehme ich nicht an, Und wär' es auch ein Härchen nur. Allein der reine Hauch auf diesem Strome, Der lichte Mond in jenen Bergen, Er wird zum Tone, wenn mein Ohr ihn aufnimmt, Und wenn mein Aug' ihn trifft, Wird er zur Lichterscheinung. Und dies Erleben Von Aug' und Ohr ist frei und unerschöpflich. Das ist das ew'ge Vorratshaus von Gottes Welt. Das bleibt uns beiden zum Genusse offen." Da heiterten des Freundes Mienen sich, Und lachend spülte er den Becher goß wieder ein. So zechten wir noch lange fort, Bis unser Vorrat aufgezehrt, Da ließen wir die Teller und die Becher stehn. Und in dem Schiffe lehnten wir uns aneinander, Und eh' wir's merkten, ward's im Osten helle. -

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Herbstlieder. Qingdao: ohne Verlag, 1918. p. 13-18.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 68-72.
    in: Jaspert, Reinhard (ed.). Lyrik der Welt. Ausland. Berlin: Safari-Verlag, 1948.
    in: Donath, Andreas. Chinesische Gedichte aus drei Jahrtausenden, Fischer Bücherei. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag, 1965. p. 104-107.
  • Chun ye 春夜: Frühlingsnacht (Su Shi 蘇軾)
    Ein jeder Augenblick der Frühlingsnacht Ist viele tausend Silberstücke wert. Die Blumen atmen reinen Wohlgeruch, Der Mond streut seine Schatten rings umher. Gesang und Flötenspiel tönt vom Balkon, Leis ziehn die Töne durch die weite Ruh. Die Schaukel steht im Garten einsam da, Es sinkt die Nacht den Morgenstunden zu.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Frühlingsgedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 12.
  • Deng guan que lou 登鸛雀樓: Auf dem Turm der Störche und Elstern (Wang Zhihuan 王之渙)
    Die weiße Sonne schwindet hinter Bergen, Der gelbe Fluß verliert sich fern im Meer. Willst du die Welt zu Füßen liegen sehen, So steig empor noch eine Stufe mehr.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Sommergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919. p. 17.
    Wilhelm wrongly attributed the poem to Li Bai.
  • Du zuo jing ting shan 獨坐敬亭山: Mit dem Ging-ting-Berg allein (Li Bai 李白)
    Die Vögel alle flogen hoch und höher, Und auch die letzte Wolke segelt fort ins Blau – Nur einer bleibt beständig mir und näher: Der Berg mit seiner Felsen ernstem Grau.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Sommergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919. p. 25.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 44.
  • Feng xue su fu rong shan zhu ren 逢雪宿芙蓉山主人: Schneenacht im Gebirge (Liu Changqing 劉長卿)
    Die Sonne sank fern hinter schwarzen Bergen, Klar stehn die Hütten und mit Schnee beschwert. Am Gittertore hört man Hunde bellen, Im Schneesturm spät ein Wandrer heimwärts kehrt.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Wintergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1920. p. 22f.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 82.
  • Gu lang yue xing 古朗月行: Erinnerungen (Li Bai 李白)
    Als Knabe kannte ich den Mond noch nicht. Ich nannt' ihn eine weiße Marmorscheibe, Ich meint', er sei ein glänzend heller Spiegel, Der durch der blauen Wolken Säume flöge. Auch sah ich wohl versteckt die Mondfee winken Und sah des Cassiabaumes dichtes Laubwerk. Der weiße Hase stieß im Mörser Kräuter Des ew'gen Lebens. Wer sie wohl bekommt? Dann kam die böse Kröte angekrochen Und fraß die helle Scheibe tückisch auf. – War einst ein Schütze, schoß neun Sonnenvögel, Da war die Welt gereinigt und in Ruhe. Doch dort die Frau im Mond betört dich nur. – Laß ab, laß ab, und blicke nicht nach ihr! – Warum doch schleicht sich leise dieses Sehnen Ins Herze mir und füllt das Aug' mit Tränen?

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Herbstlieder. Qingdao: ohne Verlag, 1918.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 51.
  • He xin lang xia jing "Ru yan fei hua wu" 賀新郎夏景 "乳燕飛華屋": Erwartung (Su Shi 蘇軾)
    Die jungen Schwalben fliegen, Das schmucke Haus ist still und leer, Der Bäume Schatten wiegen Sich leis zur Mittagszeit. – Der Abend ist gekommen, Ich kühle mich im frischen Bad, Und mit dem seidnen Fächer Spielt meine weiße Hand. Und leise senkt der Schlummer Auf meine müden Augen sich, Ich lehne mich ins Polster Und schlummre selig ein. Da hör ich plötzlich klopfen. Wer ist's, der mich im Traume stört? Ach nur des Windes Säuseln Im schlanken Bambushain. – Und der Granaten Blüten Tun ihre seidnen Knospen auf, Wenn alle Sommerblumen Schon längst vorüber sind. Ich denke dein, mein Lieber, Und breche leise einen Zweig, Ich schau in seiner Blüten Gefülltes Rot hinein. Wie lange wird es dauern, Bis sie verweht der kalte Wind, Und nur die grünen Blätter Allein noch übrig sind. – Ich schau auf diese Blume Und warte treulich, bis du kommst. Ich will sie sorgsam hüten, Daß nicht ihr Tau zerrinnt.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Sommergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919. p. 7f.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 30-31.
  • Hou chi bi fu 後赤壁賦: Zweite Fahrt zur Roten Wand (Su Shi 蘇軾)
    Zur Vollmondszeit im Wintermond Macht' ich mich aus der Heimat auf, Um abermals zur Roten Wand zu reisen. Zwei Freunde gingen mit. Der Weg ging an der gelben Furt vorbei. Schon fiel der Reiftau, und die Bäume Sie standen alle kahl von Blättern. Vom Schatten auf der Erde wandten Den Blick empor wir auf zum lichten Mond Und freuten uns an seinem Anblick. Ein frohes Lied erklang zum Wanderschritt. Da sprach ich seufzend: "Zu fröhlichem Beisammensein bedarf's des Weins, Und zum Genuß des Weins bedarf's des Mahls, Sonst lädt umsonst die schöne Nacht, Der weiße Glanz des Mondes und der kühle Wind." Da sprach der eine Freund – Wir waren grad in seiner Heimat Nähe – "Heut' abend in der Dämmerung Hob ich mein Netz und hatte einen Fisch Mit großem Maul und feinen Schuppen, Fast wie ein Karpfen aus dem Kiefernfluß, Allein der Wein, der fehlt uns noch." Dann ging er in sein Haus und sprach mit seiner Frau. Die sagte: "Lange schon steht mir ein Krug Mit altem Wein sorgfältig aufbewahrt, Damit er dir zuhanden sei, Wenn du ihn unversehens brauchst." So gab's zum Mahl denn Wein und Fisch. Dann wanderten wir fort zur Roten Wand. Des Stromes Wellen rauschten fern, Vom Ufer hatt' er sich zurückgezogen. Die Berge ragten hoch. Der Mond war klein. Das Wasser war gesunken, und die Steine vorgetreten. - Wie wenig Tag' und Monde sind es her, Seit ich zuletzt an dieser Stelle weilte, Und wie hat Fluß und Berg sich doch verändert, Daß fremd und unbekannt die Gegend scheint. Ich schürzte mein Gewand und stieg empor. Steil über Felsen ging der Weg, Und das Gestrüppe diente mir zum Halt. Die Felsen hockten da, wie Tiger oder Panther, Und wild wie Drachen krümmten sich die Bäume. Ich sah dem Nachtkauz in sein steiles Nest Und blickte nieder in des Flußgotts tiefes Schloß. Die beiden Freunde wagten nicht zu folgen. Da tat ich einen lauten Pfiff, Daß Gras und Bäume zitterten, Und fern das Echo an des Tales Wand erwachte. Der Wind erhob sich, und das Wasser rauschte, Und auch mir ward trüb gespensterhaft zumut, So daß ich länger nicht mehr säumen mochte. Ich kletterte hinab und stieg ins Schiff. Wir hielten auf der Strömung Mitte zu Und ließen unser Schifflein treiben. Und wo es hielt, da machten wir die Abendrast. Die Mitternacht war nicht mehr fern, Und lange schweift' mein Blick hin durch die tiefe Stille, Ein Kranich schwebte einsam her von Osten, Mit breitem Fittich schnitt er durch die Luft, Aus schatt'gem Schwanzgefieder Glänzte weiß die Brust hervor. Und einen langgezogenen Ruf ließ er ertönen Und streifte mit dem Flügel unser Schiff, Als er nach Westen weiterflog. Nicht lang darauf verzogen sich die Freunde, Ich selber auch begab zur Ruhe mich. Da träumte mir von einem Zaubrer In langem wallendem Gewand, Der an der Roten Wand vorüberschwebte. Er grüßte mich und sprach: "Wie war denn Eure Fahrt zur Roten Wand?" Ich fragte ihn nach seinem Namen. Er nickte nur und sagte nichts. "Ei," fiel mir ein, "ich weiß es wohl: Der heute Nacht mit einem Ruf Bei mir vorbeigeflogen ist, Warst das nicht du?" - Der Zaubrer sah mich an und lächelte. Da wacht' ich auf. Ich öffnete die Luke, um nach ihm zu sehn. Doch er war nirgends zu erblicken.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Wintergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1920. p. 1-4.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 75-78.
    in: Donath, Andreas. Chinesische Gedichte aus drei Jahrtausenden, Fischer Bücherei. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag, 1965. p. 108-110.
  • Jian ying huo "Wu shan qiu ye ying huo fei" 見螢火“巫山秋夜螢火飛": Leuchtkäfer (Du Fu 杜甫)
    in: Gundert, Wilhelm. Lyrik des Ostens. München: Carl Hanser Verlag, 1952. p. 312.
  • Jiang xue 江雪: Der Fischer im Schnee (Liu Zongyuan 柳宗元)
    Die Berge stehen kahl und Öde, Die Vöglein alle sind fortgeflogen. Und einsam liegen alle Pfade, Die Menschen sind davongezogen. In einem Kahn sitzt ganz verlassen Ein Alter Mann in Stroh gehüllt. Er angelt in den kalten Wassern, Indes der Schnee die Luft erfüllt.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Wintergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1920. p. 17.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 89.
  • Meng shang shan 夢上山 (時足疾未平): Im Traum der Nacht stieg ich auf einen hohen Berg (Bai Juyi 白居易)
    Im Traum der Nacht stieg ich auf einen hohen Berg. Und froh schritt ich dahin an meinem Wanderstab. Durch wildes Felsgewirr und steiler Wände Schroffen Klomm ich empor und sandte kühn den Blick hinab. Im Traume fühl' ich nichts von meiner Füße Schmerzen, Stark war ich und gesund wie einst zur Jugendzeit. Ich fühlte, wie der Geist sich ferne rückwärts wandte, Und mit dem Geiste war der Körper auch bereit. Und ich erkannte, daß ein Zwiespalt zwischen beiden waltet, Der Leib mag krank sein, und der Geist bleibt doch gesund. Vielleicht auch ist's, daß beide, Geist und Leib, nur Schein sind, Unwirklich werden in des Traumes nächt'ger Stund. Wenn ich bei Tage gehe, hab ich Müh und Schmerzen, Doch nachts, da schreit' ich frisch und rüstig hin. Der Tag, die Nacht sind jedes nur des Lebens Hälfte. Was schadet's drum, ob hier, ob dort ich munter bin?

    in: Oehlke, Waldemar. Seele Ostasiens. Chinesisch-japanischer Zitatenschatz. Berlin: F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, 1941. p. 127.
  • Not determined 未定: Abschied vom Frühling (Huangfu Ran 皇甫冉)
    Die ersten Frühlingsblumen Sind schon verblüht im Mai. Sie sinken zur Erde nieder, Und andere sind an der Reih. Schon fliegen die Schwalben am Dache Geschäftig ab und zu. Die Nachtigall schluchzt durch die Nächte Und findet keine Ruh. Sie ruft mit ihren Tönen Dem Lenz und dem Frühlingswind – Und will's noch immer nicht glauben, Daß sie vorüber sind.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 16.
  • Pei zhu gui gong zi zhang ba gou xie ji na liang wan ji yu yu er shou (1) "Luo ri fang chuan hao" 陪諸貴公子丈八溝攜妓納涼晚際遇雨二首(其一)“落日放船好”: Kahnfahrt, 1 (Du Fu 杜甫)
    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Sommergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 27.
  • Pei zhu gui gong zi zhang bao gou xie ji na liang wan ji yu yu er shou (2) "Yu lai zhan xi shan" 陪諸貴公子丈八溝攜妓納涼晚際遇雨二首(其二)“雨來沾度上”: Kahnfahrt, 2 (Du Fu 杜甫)
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 27.
  • Qiu xiao yue xia you huai 秋宵月下有懷: No title ("Im leeren Herbsttraum hängt der stille Mond") (Meng Haoran 孟浩然)
    Im leeren Herbstraum hängt der stille Mond, Tautropfen senken feucht sich in das Gras und blitzen. Jäh aufgeschreckte Elstern flattern um ihr Nest, Leuchtkäfer schwirren funkelnd durch der Fenster Ritzen. Die schöne Zeit! Wo ist sie hin so weit und fern? Ich stehe da und schaue in die Nacht und träume.

    in: Oehlke, Waldemar. Seele Ostasiens. Chinesisch-japanischer Zitatenschatz. Berlin: F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, 1941. p. 129.
  • Ruan lang gui. Chu xia "Lü huai gao liu yan xin chan" 阮郎歸 初夏 "綠槐高柳咽新蟬": Frühsommer (Su Shi 蘇軾)
    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Sommergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919. p. 1.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 25.
    in: Korff, Maria and Wilhelm, Richard. Der Bambus wiegt sich im Winde. Lyrik chinesischer Dichter. Zürich, Stuttgart: Aldus Manutius Verlag, 1961. p. 5.
    in: Donath, Andreas. Chinesische Gedichte aus drei Jahrtausenden, Fischer Bücherei. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag, 1965. p. 103.
  • Shan ju qiu ming 山居秋暝: Herbst im Gebirge (Wang Wei 王維)
    Es hat in den Bergen geregnet, Herbstabend liegt in den Lüften, Der Mond scheint durch die Föhren, Der Bergquell rauscht in den Klüften, Der Bambus regt seine Blätter, Ein Mädchen streifte sie sacht, Die Lotosblumen zittern, Ein Fischerkahn fährt durch die Nacht. Des üppigen Frühlings Gedränge, Wie ist es geworden so alt! Doch magst in den Bergen du finden Verborgenen Aufenthalt.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Herbstlieder. Qingdao: ohne Verlag, 1918.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 53.
  • Shan shi 山石: Bergfelsen (Han Yu 韓愈)
    Durch steiles Felsgeklüft führt mich der schmale Pfad Im Dämmerlicht zum fledermausumschwirrten Kloster. Ich ruhe auf des Tempels Stufen, wo vom Regen Die Blätter der Bananen frisch, die Jasminblüten duften. Der Mönch erzählt von all den vielen Buddhabildern, Die in die Wand gehaun, sie seien Meisterwerke, Und eine Fackel holt er, sie ins Licht zu setzen, Doch sieht man wenig in dem ungewissen Flackern. Ein Bett bereitet er sodann und kehrt die Matten Und stellt vor mich die Abendsuppe hin, Einfach Gemüse, schlichten Reis, doch für den Hunger gut. – Tief ruht und still die Nacht, die hundert Stimmen Der Zirpen, die den Tag durchlärmten, schweigen. Dort hinter Felsenzacken kommt der Mond hervor Und füllt mit seinem Schein des Fensters Gitterwerk. Der Tag erwacht. Ich wandre einsam ohne Pfade Talein, talaus, bergauf, bergab im Nebelrieseln. Rot strahlt der Berg, das Tal mischt grüne Lichter Und bunte Farben schimmernd in das Leuchten. Oft treff auf Stämme ich von Kiefern oder Zedern Uralt und stark, die wohl zehn Männer kaum umspannten. Dem Bache folgend schreite ich mit nackten Füßen Auf wohlgewählten Steinen klüglich durch die Flut. Des Wassers Rauschen klingt mir in den Ohren, Indes der Wind mit meinen Kleidern spielt. – So macht Natur das Leben frei und fröhlich. Wozu doch treten wir in das Getrieb des Alltags ein, Wo wir gespannt in harte Sklavenketten? Ach, könnten wir, die wir die Freiheit kennen, Doch bis zum Alter solch ein Leben führen Und nie zurück mehr müssen in der Menschen Schwarm!

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Sommergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919. p. 21f.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 40f.
    in: Gundert, Wilhelm. Lyrik des Ostens. München: Carl Hanser Verlag, 1952. p. 324f.
  • Shan zhong wen da "Wen yu he shi qi bi shan" 山中問答 “問余何事棲碧山”: Waldgespräch (Li Bai 李白)
    Ihr fragt mich, warum im grünen Wald ich niste – Ich lächle schweigend, und mein Herz ist selig leicht: Die Pfirsichblüten schwimmen fort und schwinden – Es gibt noch eine Welt, von Menschen nicht erreicht.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Frühlingsgedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 8.
  • Song you ren "Qing shan heng bei guo" 送友人 “青山橫北郭”: Die grünen Berge türmen sich im Norden (Li Bai 李白)
    Die grünen Berge türmen sich im Norden, Weiß schäumend braust der Strom nach jener Seite. Sei stark mein Herz! Hier heißt es Abschied nehmen. Einsam sein Schiff zieht bald nun in die Weite. Wie Wolken gehn des Wandernden Gedanken, Mir sinkt die Sonne nun zur dunklen Erde. Wir reichen uns zum Abschied noch die Hände. Laut wiehern durch den Abend unsre Pferde.

    in: Oehlke, Waldemar. Seele Ostasiens. Chinesisch-japanischer Zitatenschatz. Berlin: F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, 1941. p. 129.
    in: Fink-Henseler, Roland W. (ed.). Brevier fernöstlicher Weisheit. Sprichwörter, Aphorismen und Gedichte aus Japan und China. Bayreuth: Gondrom Verlag, 1984. p. 138.
  • Tong qian yuan wai jin zhong ye zhi 同錢員外禁中夜直: Um Mitternacht (Bai Juyi 白居易)
    in: Gundert, Wilhelm. Lyrik des Ostens. München: Carl Hanser Verlag, 1952.
  • Wan shan tan zuo 萬山潭作: No title ("Ich lasse die Angel hängen") (Meng Haoran 孟浩然)
    in: Oehlke, Waldemar. Seele Ostasiens. Chinesisch-japanischer Zitatenschatz. Berlin: F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, 1941. p. 72f.
    in: Fink-Henseler, Roland W. (ed.). Brevier fernöstlicher Weisheit. Sprichwörter, Aphorismen und Gedichte aus Japan und China. Bayreuth: Gondrom Verlag, 1984. p. 81f.
  • Wang chuan ji (17): Zhu li guan 輞川集(其十七):竹裏館: Ich sitze einsam in dem Bambuswinkel (Wang Wei 王維)
    Ich sitze einsam in dem Bambuswinkel, Ich schlag' die Zither, und ich jauchze laut. Im tiefen Wald hier kennt mich keine Seele, Der lichte Mond nur leuchtet mir vertraut.

    in: Oehlke, Waldemar. Seele Ostasiens. Chinesisch-japanischer Zitatenschatz. Berlin: F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, 1941. p. 129.
    in: Fink-Henseler, Roland W. (ed.). Brevier fernöstlicher Weisheit. Sprichwörter, Aphorismen und Gedichte aus Japan und China. Bayreuth: Gondrom Verlag, 1984. p. 136.
  • Xiao zhi 小至: Wintergedanken (Du Fu 杜甫)
    Des Himmels Zeiten und der Menschen Leben, Sie kreisen ohne Rast und Ruhe fort. Die Sonnenwende bringt den Sieg des Lichtes, Und wieder wird der Frühling kommen. Der Tag wird länger, und die Stickerinnen Näh'n täglich einen Seidenfaden mehr. Die Erdkraft regt sich in geheimen Tiefen Und wirket still, ans Licht hervorzukommen. Des Baches Ufer schauen voll Erwartung, Die Kätzchen aufzutun am Weidenbaum. Die Berge scheuchen fort den kalten Winter, Sie wollen Mandelblüten zart entfalten. Wohl bleibt Natur in jedem Jahr dieselbe. Doch anders ist die Welt, der Heimat fern. Sei still! – Komm du herbei, geschäft'ger Knabe, Und füll' mit Wein mir in der Hand den Becher!

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Wintergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1920. p. 14.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 86.
  • Xing lu nan san shou "Jin zun mei jiu dou shi qian" 行路難 “金樽美酒斗十干”: Wanderers Sehnsucht (Li Bai 李白)
    Ein goldner Becher steht gefüllet Mit klarem Wein; Auf Silberschalen prangen Speisen Und laden ein. Ich kann nicht essen, ungekostet Steht mir das Glas. Ich zieh mein Schwert und blicke um mich, Als sucht' ich was. Ich möchte den Strom durchqueren im Boote: Eis hemmt den Lauf. Möcht über der Berge Gipfel eilen: Schnee türmt sich auf. – Bald sitz ich müßig bei der Angel Am Plätscherbach, Bald steig ich zu Schiff und flieg im Traume Der Sonne nach. O schwer ist das Wandern! Schwer ist das Wandern! So wirr sind die Wege Von einem Ort zum andern. – Doch kommt einst die Zeit, Da der Wind fährt hinter den Wellen her: Dann schwellen die Segel Zur Fahrt übers weite, blaue Meer. –

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Wintergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1920. p. 22f.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 94f.
  • Ye gui lu men shan ge 夜歸鹿門山歌: Nächtliche Heimkehr zum Hirschtorberg (Meng Haoran 孟浩然)
    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Sommergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919.
    in: Gundert, Wilhelm. Lyrik des Ostens. München: Carl Hanser Verlag, 1952. p. 285.
  • Yu jie yuan 玉階怨: Einsamkeit (Li Bai 李白)
    Die Marmorstufen weiß vom Taue leuchten. Die Nacht ist spät, das Kleid beginnt zu feuchten. – Mit dem kristallnen Vorhang schließt sie nun ihr Zimmer. Da schaut den Herbstmond sie im Perlenschimmer.

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Herbstlieder. Qingdao: ohne Verlag, 1918.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 62.
  • Yu qing 雨晴: Herbstklarheit (Du Fu 杜甫)
    in: Gundert, Wilhelm. Lyrik des Ostens. München: Carl Hanser Verlag, 1952. p. 308.
  • Yu weng 漁翁: Der Fischer (Liu Zongyuan 柳宗元)
    Am hohen Felsgestade Der Fischer schlief im Kahn, Doch als der Morgen dämmert, Macht er ein Feuer an. Als sich der Rauch verzogen, Steigt auf der Sonne Glüh'n, Ein lautes Rufen schickt er Durch Berg und Wassers Grün, Er blickt hinauf an den Himmel, Dann treibt durch den Strom er dahin, Am Felsen fliegen die Wolken, Sie wissen nicht wohin. –

    in: Wilhelm, Richard. Chinesische Sommergedichte. Qingdao: ohne Verlag, 1919.
    in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 38.